Boeing-CEO Calhoun darf sich zum Abschied über ein üppiges Salär freuen (2024)

Pannenserie Boeing-CEO Calhoun darf sich zum Abschied über ein üppiges Salär freuen

Ein Analyst bezeichnete ihn als„besten Chef, den Airbus je hatte“: Dave Calhoun, der Boss des Konkurrenten Boeing. Verantwortlich für eine beispiellose Pannenserie hat er seinen Rücktritt bereits angekündigt. Zum Jahresende verlässt er den US-Flugzeughersteller– und darf sich über üppige Zahlungen freuen. Für das vergangene Jahr bekommt er 32,8Mio. Dollar, wie Boeing Ende vergangener Woche mitteilte.

Calhoun kassiert ein Grundgehalt von 1,4Mio. Dollar und mehr als 30Mio. Dollar aus Boeing-Aktien. Immerhin verzichtete er auf einen Bonus von 2,8Mio. Dollar, den er trotz einer Beinahe-Katastrophe erhalten hätte.

Am 5. Januar dieses Jahres war bei einem fast neuen Flugzeug des Typs 737 Max ein türgroßes Stück der Kabinenwand in 4900 Metern Höhe herausgebrochen. Die Maschine der Alaska Airlines konnte sicher zum Flughafen in Portland im US-Bundesstaat Oregon zurückkehren. Die mehr als 170 Insassen der Maschine kamen mit dem Schrecken davon.

Ende März kündigte Calhoun an, er werde das Unternehmen verlassen. Sein Aktien-Bonus für das laufende Jahr wurde dem Konzern zufolge um knapp 40 Prozent gekürzt - auf 17Mio. Dollar. Der Flug der Alaska Airlines sei für den Konzern ein Wendepunkt gewesen, schrieb Calhoun an die Mitarbeiter.

Bei nach dem Vorfall angeordneten Kontrollen wurden auch bei anderen Boeing-Flugzeugen lose Teile und lockere Schrauben entdeckt, was Zweifel an der Konstruktion und dem Zulassungsverfahren des Boeing-Kassenschlagers verstärkte.

Abdeckung löst sich ab

Es kam zu weiteren Pannen: Anfang März fiel bei einer Boeing 777 der United Airlines kurz nach dem Abflug von San Francisco ein Reifen ab. Und in der vergangenen Woche kündigten neuseeländische Behörden eine Untersuchung an, nachdem mehrere Passagiere auf dem Flug einer Boeing 787 Dreamliner von Sydney nach Auckland bei heftigen Turbulenzen verletzt worden waren. Am Sonntag verlor eine Passagiermaschine der US-Fluggesellschaft Southwest Airlines während des Starts in Denver eine Abdeckung eines ihrer Triebwerke. Auf Videos aus Flugzeugfenstern ist zu sehen, wie sich die blaue Verkleidung langsam ablöste, im Wind flatterte und schließlich fast vollständig abfiel. Die 737-800 wurde im Juni 2015 in Dienst gestellt.

Calhoun steht für viele für die Art und Weise, wie Boeing in den vergangenen Jahrzehnten geführt wurde - und für die Folgen. Boeing war einst als ein Unternehmen bekannt, dem technische Spitzenleistungen und Qualität wichtiger waren als finanzielle Performance. Branchenexperten kritisieren, dass sich diese Einstellung in den vergangenen 25 Jahren geändert habe und Boeing immer mehr auf Kostendisziplin und Einsparungen setzte. Nun sagte selbst Boeing-Finanzchef Brian West:„Jahrelang haben wir einer schnellen Produktion der Flugzeuge vor der Qualität Priorität eingeräumt, und das muss sich nun ändern.“

2019 war Boeing in die schwerste Krise seiner Geschichte geraten. Zwei Jets des Typs 737-Max waren abgestürzt, 346 Menschen starben. Weltweit wurden Flugverbote verhängt. Erst nach technischen Verbesserungen wurde das Modell nach mehr als 20 Monaten schrittweise wieder für den Flugverkehr freigegeben. Boeing kosteten die Desaster Milliardensummen. Auf einen Schlag verloren die Amerikaner ihre Position als weltgrößter Flugzeughersteller an den europäischen Konkurrenten Airbus. Der damalige Vorstandschef Dennis Muilenburg ging und Calhoun– ein erfahrener Krisenmanager– übernahm. Doch ihm gelang es nicht, Boeing in ruhiges Fahrwasser zu führen.

Seit fünf Jahren schreibt Boeing rote Zahlen. Die Sicherheitsmängel schrecken Kunden ab und hinterlassen tiefe Spuren in der Bilanz. Zuletzt konnte der europäische Rivale Airbus Aufträge über 65 Flugzeuge bei zwei wichtigen Boeing-Kunden in Asien einsammeln.

Nachfolger gesucht

Auf Geheiß der US-Aufsichtsbehörde FAA darf Boeing die Produktion der gesamten 737-Max-Reihe bis auf Weiteres nicht wie geplant ausweiten. Die Airlines ärgern sich derweil über die Qualität der Boeing-Flugzeuge und darüber, dass sich die Lieferungen bestellter Maschinen verzögern, während die Nachfrage von Passagieren kräftig steigt. Wegen der Verzögerungen in Boeings Produktion mussten Fluggesellschaften - darunter der irische Billigflieger Ryanair und das US-Pendant Southwest - ihre Flugpläne verkleinern.

Ryanair setzt ausschließlich Flugzeuge vom Typ 737 ein. Unternehmenschef Michael O'Leary sagte dem US-Nachrichtensender CNN, dass Ryanair bei jeder Lieferung von Boeing-Maschinen„48 Stunden damit verbringt, das Flugzeug auf Fehler, fehlende Teile und Sonstiges zu überprüfen“. Bei diesen Kontrollen seien zwar keine größeren Mängel entdeckt worden. Aber regelmäßig würden kleinere Probleme gefunden -- etwa Werkzeug unter dem Kabinen-Boden oder fehlende Griffe an den Sitzen.

Bei jüngsten Untersuchungen der FAA bestand Boeing laut der„New York Times“ von 89 Überprüfungen einzelner Prozesse nur 56. Insgesamt seien 97 Verstöße festgestellt worden, berichtete die Zeitung Mitte März unter Berufung auf eine interne Präsentation. Wie schwerwiegend die Probleme waren, blieb unklar. Die FAA teilte lediglich mit, sie habe mehrfach Verstöße gefunden.

Calhoun will den Konzern weiter durch das Jahr führen, um die„Stabilisierung des Unternehmens und seine Positionierung für die Zukunft abzuschließen“.„Wir müssen weiterhin mit Demut und vollständiger Transparenz auf diesen Unfall [der Alaska-Airlines-Maschine] reagieren“, schrieb er an die Mitarbeiter.„Außerdem müssen wir auf allen Ebenen unseres Unternehmens ein umfassendes Engagement für Sicherheit und Qualität verankern.“ Wer Calhouns Nachfolge antritt, steht noch nicht fest.

Seit Jahresbeginn hat die Boeing-Aktie knapp 30 Prozent an Wert verloren– damit haben sich fast 68Mrd. Dollar Börsenwert in Luft aufgelöst. Für Airbus ging es dagegen rund 34 Prozent nach oben.

Der Artikel ist zuerst bei ntv.de erschienen, das wie Capital zur RTL Deutschland gehört.